Die Freude an Blumen – Naturbetrachtungen #1

Lesezeit:

7–11 Minuten

Warum erfreuen wir Menschen uns so sehr an Blumen? Und was haben Insekten mit dieser Freude zu tun? Was ist überhaupt Schönheit? Der Versuch einer Annäherung.
Heute wird es also etwas philosophisch, aber auch Botanik sowie praktische Infos in Form von Pflanzensteckbriefen sind dabei. Ein buntes Potpourri an Themen also. Mit im Gepäck sind auch wieder viele Fotos, die dieses Mal allesamt durch mein Makroobjektiv geschossen wurden.


Mit meinem Blog wollte ich in erster Linie meine Leser dazu anregen, selbst in die Natur zu gehen und eigene Erlebnisse und Erfahrungen dort zu machen, mit dem Ziel, mehr Naturbegeisterung und damit Naturverständnis und Naturverbundenheit zu erlangen.
Im Laufe der Zeit wurde daraus aber immer mehr ein Tourenportal, auf dem ich meine Wanderungen vorstellte. Das ist zwar nicht schlecht, aber nicht unbedingt das, was ich tatsächlich bezwecken will.
Es ist also eine Neuausrichtung angesagt.
Aus diesem Grund werde ich mich in Zukunft immer wieder der neuen Rubrik „Naturbetrachtungen“ widmen. Dabei wird es um Themen im Zusammenhang mit Natur gehen, die sich mir gerade aufdrängen und zu denen ich meine Sicht der Dinge gerne mit dir teilen möchte.

Was wir landläufig als Blume bezeichnen, ist der Blütenstand einer Pflanze. Die Blüten dienen – das weiß jedes Kind – der Fortpflanzung. In der Regel besteht eine solche Blüte aus zwei Komponenten: Zum einen aus den eigentlichen männlichen und/oder weiblichen Fortpflanzungsorganen und zum anderen aus einer aufreizenden Kleidung. Diese soll natürlich nicht andere Pflanzen antörnen, sondern vielmehr den potentiellen Bestäubern attraktiv erscheinen. Im Gegensatz zu Tieren können Pflanzen ja nicht miteinander kopulieren. Sie brauchen daher einen Überträger, der den Pollen zur Eizelle im Fruchtknoten bringt. Das kann entweder der Wind sein, oder eben Tiere, in erster Linie Insekten. Der Wind braucht keine Anreize. Pflanzen mit Windbestäubung haben deshalb meist ganz unscheinbare Blüten, die kaum ins Auge stechen und die wir in der Regel auch nicht in die Kategorie Blumen einordnen.
Die ganze Aufmachung – Botaniker sprechen vom Schauapparat – bei den Insektenbestäubern dient also der Anlockung der Insekten. Hinzu kommt natürlich noch der Duft – oder Gestank, je nachdem welche Insekten angelockt werden sollen.

Das was uns Menschen entzückt, sind somit der Schauapparat der Blüte und ihr Duft. Genau dasselbe also, worauf auch die Insekten fliegen.

Zufall?

Eher nicht. Vielmehr handelt es sich dabei um Schönheit im Sinne von Transzendenz. Die Transzendenz ist ein philosophischer Begriff, der auf Platon zurück geht. Sie wird von den Platonikern als etwas Unveränderliches und Absolutes definiert, was sich jedoch auf keinen materiellen Gegenstand bezieht, sondern als rein geistige Idee existiert. Sie ist somit nichts, was sich der Mensch ausgedacht hat, sondern existiert fernab jeglicher Gedanken und Gefühle, ja fernab nicht nur des Menschen, sondern der gesamten materiellen Welt. Neben der Schönheit zählen auch die Wahrheit, das Gute und die Gerechtigkeit zur Transzendenz. Sie sind Archetypen, nach denen alles Lebendige strebt. Deshalb liegt auch Schönheit keineswegs im Auge des Betrachters, sondern vielmehr existiert die eine, absolute Schönheit, die in der Lage ist, unseren Geist aus den Abgründen negativer Emotionen und schlechter Gedanken zu erheben.

Es gilt als die höchste Form der Kunst, diese Schönheit im menschlichen Schaffen auszudrücken und es bedarf dafür eines guten Kanals zu den erhabensten Anteilen unseres Selbst, also zu unserer Seele, wenn man so will. Nur wenige Künstler haben dies in annähernder Perfektion geschafft, etwa die großen Musiker wie ein Mozart, die berühmten Maler, Bildhauer und Dichter, oder auch die Architekten der großen Kathedralen der Renaissance. In unserer vom Materialismus geprägten Gegenwart ist dies nur noch ganz selten zu finden, in der modernen Unterhaltungsindustrie sucht man meist vergebens danach. Sie bedient in erster Linie unsere niedrigeren Emotionen und Triebe anstatt uns mit erhabenen Gedanken und hochschwingenden Gefühlen zu konfrontieren. Offensichtlich lässt sich mit Herzschmerz, Drama, Not und Elend mehr Geld verdienen, als mit Freude, Verbundenheit, oder Harmonie.

Doch in  den Blüten der Pflanzen spiegelt sich diese absolute Schönheit wider. Deshalb ist der Kontakt zur Natur auch so wichtig.


Heute möchte ich dir einige dieser Blüten einmal etwas genauer zeigen. Die Makrofotografie bietet eine gute Möglichkeit um Details, die dem menschlichen Auge ansonsten oft verborgen bleiben, erkennen zu können.

Begleite mich auf einem kleinen Spaziergang entlang einer artenreichen Feuchtwiese im Sommer.

Es ist Anfang Juli und der Frühsommer geht langsam in den Hochsommer über. Noch finden sich viele Orchideen in den Wiesen, auch wenn der Höhepunkt der Orchideenblüte bereits überschritten ist. Gleich drei Orchideenarten finden sich Seite an Seite wachsend in dem zu Recht unter Naturschutz stehendem Gebiet.

Sumpf-Stendelwurz (Epipactis palustris)
Fuchs Fingerknabenkraut (Dactylorhiza fuchsii)
Mückenhändelwurz (Gymnadenia conopsea)

Dafür kommt nun eine Pflanze auf, die alle anderen an Größe und Blühkraft übertrifft und deshalb im Englischen auch als „Queen of the meadow“ bezeichnet wird. Die Rede ist vom Mädesüß, das seine cremefarbenen Blüten, die irgendwie an Zuckerwatte erinnern, nun in den Himmel streckt. Bienen, Hummeln, Schmetterlinge und viele andere Fluginsekten pilgern massenhaft zu den üppigen Blüten. Diese beinhalten so viel Nektar, dass sie einst zum Süßen von Honigwein, dem Met, verwendet wurden. Von dieser Verwendung stammt auch der deutsche Name, der also nichts mit „Mädchen“ zu tun hat.

Echtes Mädesüß:

Botanischer Name: Filipendula ulmaria

Pflanzenfamilie: Rosaceae (Rosengewächse)

Wuchshöhe: 0,5 – 1,5 Meter

Blüte: Juni – August

Verbreitung: in großen Teilen Europas bis nach Mittelasien weit verbreitet

Vorkommen: Feuchtwiesen, Gräben, entlang von Bächen, sonnig bis halbschattig, Flachland bis Mittelgebirgslagen

Gefährdung: nicht gefährdet, nicht geschützt

Verwendung: bedeutende Heilpflanze

Das Mädesüß ist eine bekannte Heilpflanze. Aufgrund ihres Gehalts an Salicylsäuren fungiert sie als natürliches Aspirin und findet deshalb unter anderem bei Fieber und Erkältungen Verwendung. Gesammelt werden die Blüten, die getrocknet mit heißem Wasser zu einem Tee aufgegossen werden. Daneben sind auch viele weitere Anwendungsgebiete belegt, die zum Teil auf anderen Inhaltsstoffen beruhen. Wer mehr über die Heilwirkung des Mädesüß erfahren möchte, wird zum Beispiel hier fündig werden.


Das Studentenröschen ist ein typischer Bewohner von Feuchtwiesen und Mooren. Obwohl eher kleinwüchsig, stechen seine strahlend weißen Blüten schnell ins Auge. Und diese Blüten sind wirklich sehr besonders. Um das verstehen zu können, gibt es jetzt einen kurzen Crashkurs in Botanik:

Weiter oben habe ich ja bereits erwähnt, dass Blüten meist aus zwei Komponenten bestehen. Das ist beim Studentenröschen nicht anders. Wir haben zum einen also den Schauapparat, der aus den strahlend weißen Kronblättern mit den typisch dunkelgrünen Blattnerven besteht, sowie den gelben Nektarköpfchen. Letztere sind beim Sumpf-Herzblatt allerdings Attrappen. Die Pflanze täuscht ihren Bestäubern also nur vor, dass es Nektar gibt. Botaniker sprechen von „Täuschblumen“. Das machen einige andere Pflanzen, vor allem die Orchideen, ebenfalls und ist noch kein Alleinstellungsmerkmal des Studentenröschens. Ein klein wenig Nektar liefert die Blüte aber doch. Den braucht sie, um Nektarduft zu verbreiten. Dieser befindet sich jedoch nicht an den vermeintlichen knallgelben Nektartröpfchen, sondern an deren Basis. Auf der Suche nach Nektar krabbeln die Insekten – vor allem Fliegen werden von den weißen Kronblättern angelockt – über die Blüte und bestäuben diese dabei.

Die zweite Komponente einer Blüte sind die eigentlichen Geschlechtsorgane. Die allermeisten Blüten sind zwittrig, so auch das Studentenröschen. Der männliche Samen heißt bei den Pflanzen Pollen. Er sitzt in den Staubblättern, meistens an deren Spitze in sogenannten Pollensäcken. Die Eizelle befindet sich im Fruchtknoten, meist im Zentrum der Blüte. Der Fruchtknoten hat eine mehr oder weniger lange schlauchförmige Verlängerung, den sogenannten Griffel, der mit der Narbe abschließt. Die Narbe hat die Aufgabe, den Pollen aufzunehmen, durch den Griffel gelangt dieser weiter in den Fruchtknoten zur Eizelle. Der Rest verläuft nicht viel anders als bei uns Menschen auch: Aus der befruchteten Eizelle entwickelt sich die Frucht.

Fassen wir also kurz zusammen:
➡ Männliche Geschlechtsorgane der Pflanze sind die Staubblätter mit den Pollensäcken.
➡ Weibliche Geschlechtsorgane sind Fruchtknoten (mit Eizelle), Griffel und Narbe.


Sumpf-Herzblatt / Studentenröschen:

Botanischer Name: Parnassia palustris

Pflanzenfamilie: Parnassiaceae (Herzblattgewächse)

Wuchshöhe: 5 – 30 cm

Blüte: Juli – September

Verbreitung: gesamte nördliche Nordhalbkugel, in Europa fehlt sie nur in Portugal, im Mittelmeerraum nur in Gebirgslagen zu finden

Vorkommen: Feuchtwiesen, Quellfluren, Moore, subalpine/alpine Magerrasen; sonnig; kalkliebend; Flachland bis alpine Lagen

Gefährdung: in den Alpen ungefährdet, im Flachland gefährdet durch Verlust von Lebensraum; besonders geschützt

Sonstiges: besondere Blütenbiologie; einziger Vertreter der Herzblattgewächse in Europa

Viele Pflanzen haben Strategien entwickelt, um eine Selbstbefruchtung zu vermeiden. Eine davon ist, dass männliche und weibliche Geschlechtsorgane nicht zur selben Zeit entwickelt sind. So ist es auch beim Studentenröschen. Ein und dieselbe Blüte ist zuerst männlich und wechselt dann ihre Geschlechtlichkeit. Diese Art der Blüten nennen die Botaniker „vormännlich“.

Und nun kommen wir endlich zur Besonderheit des Sumpf-Herzblattes:
Wenn die Blüten sich öffnen, liegen die fünf Staubblätter dem Fruchtknoten an. Jeden Tag reift nun eines dieser Staubblätter heran und biegt sich dabei nach außen. Insekten, die auf der Blüte landen, werden mit dem Pollen aus dem reifen Pollensack eingestaubt wenn sie auf der Suche nach Nektar diesen berühren. Am Ende wird der Pollensack abgeworfen und das Spiel wiederholt sich mit jedem der vier weiteren Staubblätter. Es dauert also fünf Tage, bis alle Staubblätter entwickelt sind. Wenn man eine Blüte des Sumpf-Herzblatts betrachtet, kann man an Hand der bereits geöffneten Staubblätter genau abzählen, wie viele Tage sie schon blüht. Am sechsten Tag, nachdem alle Pollensäcke abgeworfen sind, öffnet sich die Narbe und die Blüte wird weiblich. Eine Selbstbefruchtung ist nun nicht mehr möglich, der Pollen kommt ausschließlich von anderen Individuen, die gerade in ihrer männlichen Phase sind.

Hier zur Veranschaulichung ein paar Beispiele:

Tag 1: Die Blüte hat sich gerade geöffnet. Das erste Staubblatt mit dem Pollensack hebt sich vom Fruchtknoten ab, die anderen 4 liegen ihm noch an.
Tag 5: Das letzte Staubblatt reift aus, die anderen 4 haben sich bereits nach außen gebogen und ihre Pollensäcke abgeworfen. Einer davon ist auf dem Blütenboden (unterhalb des Fruchtknotens im Bild) liegen geblieben.
Tag 6: Alle Staubblätter sind ausgereift und die Pollensäcke abgefallen. Die Narbe beginnt sich zu öffnen und die Blüte wird nun weiblich.
Tag 6+: Diese Blüte ist bereits befruchtet und der Fruchtknoten deutlich angeschwollen. Die weißen Kronblätter (Schauapparat) sind abgefallen, sie werden nach erfolgreicher Befruchtung nicht mehr benötigt. Noch zu sehen sind die nach außen stehenden Staubblätter und die Nektardrüsen-Attrappen, sowie die Narbe (bräunliche Spitze) und der Griffel.

Ich finde es extrem faszinierend, wie ausgeklügelt dieses System ist und wie intelligent die Lösungen der Natur sind. Und da glauben einige ernsthaft, sie müssten die Natur „verbessern“, weil diese unvollkommen und fehlerhaft sei. Für mich liegt der einzige Fehler in dieser Art der Denkweise.

Der Spaziergang ging natürlich noch weiter, doch für heute soll es das erst mal gewesen sein.


Lass mich gerne wissen, wie dir dieser Beitrag, der völlig anders war als alle bisherigen, gefallen hat. Die Entwürfe für weitere dieser Art sind übrigens schon verfasst.
Aber keine Sorge, es wird auch bald wieder Berichte von Wanderungen und Ausflügen geben.

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