In der dunkelsten Zeit des Jahres – Gedanken zum Jahreswechsel

2021 neigt sich mit raschen Schritten dem Ende entgegen. Die Sonne hat ihren tiefsten Stand erreicht und schickt sich an, im ewigen Zyklus von Werden und Vergehen wieder neu geboren zu werden. Diese Wiedergeburt des Lichts wird seit Urzeiten schon gefeiert. Seit etwa 1700 Jahren nennen wir dieses Fest Weihnachten.


Die Christen waren also keineswegs die ersten, die dieses Fest feierten. Mit dieser ketzerischen Aussage wäre ich vor einigen Jahrhunderten garantiert auf dem Scheiterhaufen gelandet. Heute ist es jedoch unbestritten, dass die katholische Kirche viele Feste anderer Kulturen einfach übernommen und sie mit neuen Inhalten versehen hat. Ja selbst Ostern, das höchste aller christlichen Feste, findet im keltischen Frühlingsfest „Alban Eiler“ seine Entsprechung.

Um diese Frage zu beantworten, möchte ich zuerst noch eine andere Frage stellen:
Wodurch hat sich der Mensch am stärksten in seinem Alltag von der Natur abgekoppelt?
Antwort: Es ist das elektrische Licht!
Als in unseren Häusern ab Ende des 19. Jahrhunderts die Lichter angingen, war man plötzlich nicht mehr angewiesen auf Tageslicht. Arbeit, Studium, Geselligkeit, kurzum: das Leben konnte von nun an auch nach Sonnenuntergang ohne Einschränkungen vonstattengehen.

Versuchen wir uns für einen Moment in die Lage der Menschen zu versetzen, denen solcher Luxus noch nicht zur Verfügung stand: Im schwachen Schein von Kerzen – selbst diese waren kostbar und rar – oder eines Feuers waren die Verrichtung komplexer Tätigkeiten, die Lektüre eines Buches oder eine gesellige Runde bei Tisch kaum vorstellbar. Die Menschen waren also in ihrer Alltagsgestaltung fast vollständig abhängig vom Tageslicht. Deshalb beobachteten sie unser Gestirn auch ganz genau und sie wussten, dass in der Nacht vom 21. auf den 22. Dezember etwas anders war, als in anderen Nächten. Denn in dieser Nacht durchschritt die Sonne den Talboden, um sich am nächsten Tag wieder auf den Weg in Richtung Gipfel zu machen.

Genau genommen, verweilt die Sonne einige Tage lang im Tal. Die Länge dieser Tage rund um Weihnachten unterscheidet sich nur um wenige Sekunden(!) voneinander. Diese Zeit des „Sonnenstillstandes“ wurde später auch als Rauhnächte bezeichnet. Doch, dass der 21. Dezember einen Wendepunkt darstellt, haben die Kelten, so wie fast alle Völker der vorchristlichen Zeit, richtig erkannt.

Von nun an werden die Tage also wieder länger, die Sonne wird in jener Nacht neu geboren. Wenn das kein Grund zum Feiern ist! Die Kelten – und auch die Germanen übernahmen diese Tradition – begingen diese Festnacht mit der Entzündung von großen Feuern, die Häuser wurden mit Kerzen so hell erleuchtet, wie es nur ging, es wurde großzügig geräuchert und danach gab es ein großes Festmahl. Als Deko dienten immergrüne Zweige von Fichte, Tanne, Wacholder und Efeu, die das Wiedererstarken des Lebens symbolisierten, das zu dieser Zeit gerade unter der Schneedecke schlummert. Auch der Christbaum ist also kein christliches Symbol.

Das geht zurück auf die Unzulänglichkeiten des julianischen Kalenders, der damals, als die Kirche die Geburt Jesus auf den Tag der Wintersonnenwende festlegte, verwendet wurde. Nach diesem Kalender war die Wintersonnenwende eben am 25. Dezember und verschob sich zunehmend weiter nach hinten. Verwendeten wir den julianischen Kalender noch heute, so wie es die orthodoxe Kirche tut, würden auch wir Weihnachten erst am 7. Jänner feiern.

Kleine Bermerkung am Rande: Der Tag der Wintersonnenwende wurde bei den Römern bereits zuvor als Sol invictus gefeiert, der Geburtstag des römischen Sonnengottes.

Wir sehen also: Nicht nur gibt es viele Parallelen zwischen den Feiertagen der verschiedenen Völker und Religionen. Die Liste ließe sich übrigens noch beliebig verlängern. Vielmehr deutet das alles darauf hin, dass es bei der Weihnachtszeit um weit mehr geht als um Religion, ja dass hier grundlegende Naturkräfte im Spiel sind. Es ist dies das Prinzip von Tod und Wiedergeburt, von Vergehen und Werden, das uns die Natur vor Augen führt.

Alles in der Natur verläuft in Zyklen. Mit dem Sterben der Sonne ist einer dieser Zyklen abgeschlossen. Doch der Tod ist nur scheinbar das Ende des Lebens. So wie die Sonne niemals ganz stirbt, so zieht sich auch das Leben nur zurück in das Innere der Wurzeln und Samen, oder den Winterschlaf und die Winterstarre im Tierreich. Für uns vorerst noch unsichtbar bereitet es sich im Verborgenen darauf vor, neu geboren zu werden.

Wir feiern also mit Weihnachten, unabhängig von unserem religiösen Glauben, auch den Abschluss eines natürlichen Zykluses und den Beginn eines neuen. Und so gesehen, markierte auch die Geburt Jesus Christus das Ende eines alten und den Anfang eines neuen Zykluses. Auch wenn dieser wesentlich größer war als ein Jahreszyklus.

Wie ich bereits weiter oben erläutert habe, haben wir uns mit der Erfindung des elektrischen Lichts von diesen natürlichen Zyklen scheinbar abgekoppelt. Doch künstliches Licht kann die Sonne nicht vollständig ersetzen, ansonsten würden wir nicht mit Problemen wie Vitamin D-Mangel, Antriebslosigkeit oder gar Winterdepression kämpfen.

Ob wir wollen oder nicht, auch wir selbst durchleben Jahr für Jahr diesen natürlichen Zyklus. Er beginnt mit dem Winter: Kälte und Dunkelheit liegen wie eine bleierne Decke über dem Leben. So wie sich das Leben zurück gezogen hat, so ziehen auch wir uns zurück in unsere Häuser. Es ist die Zeit der Innenschau. Früher mussten die Menschen – so wie die Tiere – um ihr Überleben kämpfen. Heute müssen wir in der Regel nur noch darum kämpfen, unsere Lebensfreude aufrecht zu erhalten, was mitunter auch ganz schön anstrengend sein kann. Die allermeisten sehnen sich nach dem Frühling. Schnee und Sonne helfen, denn sie machen die Welt heller und freundlicher. Ein paar Stunden bei Sonnenschein und Schnee im Freien, verbunden mit körperlicher Aktivität, können oft wahre Wunder bewirken.


Der Frühling kommt und weckt die Lebensgeister. Es herrscht Aufbruchsstimmung und wir sind hochmotiviert, etwas Neues zu beginnen. Meist beginnen wir dann viel zu viel und können es nicht durchhalten. Mussten wir uns im Winter noch dazu überwinden, zieht es uns nun förmlich hinaus ins Freie und in die Natur. Das Leben erwacht, die Blumen blühen, die Bienen summen, plötzlich ist die Welt um uns herum ganz bunt.


Der Sommer kommt und wir können das Leben genießen. Alles ist nun leicht und entspannt. Sommerliche Hitze setzt uns zwar körperlich mitunter genauso zu wie winterliche Kälte, doch dafür ist nun die Melatonin-Produktion in unserer Zirbeldrüse auf ihrem Tiefststand angelangt, was sich in Form von Lebensfreude und Ausgeglichenheit zeigt.


Dann kommt der Herbst und es wird Zeit unsere Ernte einzufahren. Nach der lockeren Zeit des Sommers wird das Leben nun wieder verbindlicher. Neuer Job, neue Wohnung, neues Schuljahr, neue Beziehung. Vieles davon bringt der Herbst mit sich. Meist handelt es sich dabei um die Früchte unserer Planungen, Erkenntnisse und Bemühungen seit dem Frühling. Der Herbst geht langsam in den Winter über und der Zyklus beginnt von Neuem.

Hinzu kommen natürlich all die persönlichen Erlebnisse und Momente, die das Jahr für uns parat hielt. In Zeiten wie diesen sind das sicherlich nicht nur gute. Doch gerade aus schwierigen Zeiten und Schicksalsschlägen können wir bekanntlich am meisten lernen, wenn wir die Lektionen annehmen.

All diese Abschnitte des zu Ende gehenden Jahres können wir in den Tagen zum Jahresende nochmals Revue passieren lassen und uns dankbar zeigen, für alles was sie uns gezeigt haben. Damit können wir das Alte abschließen und uns für das Neue öffnen. Am besten gelingt dies an einem stillen Ort in der Natur.

Dazu möchte ich euch ein Zitat von Christian Morgenstern, deutscher Schriftsteller (1871 – 1914), mit auf den Weg geben:

Wir brauchen nicht so fort zu leben, wie wir gestern gelebt haben. Macht euch von dieser Anschauung los, und tausend Möglichkeiten laden uns zu neuem Leben ein.

Christian Morgenstern

In diesem Sinne wünsche ich eine besinnliche Weihnachtszeit und einen guten Abschluss dieses schwierigen Jahres 2021.


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